Der Flieger in Gefangenschaft:
Man lege einander die Frage vor: lohnte sich dieses Leben?
Oder sollte es nicht besser gewesen sein,
wenn man das Dunkel da unten niemals verlassen hätte?
Dazu wurde einerseits angeführt:
Das Leben besteht aus Halunken, aus Ärger,
aus Fahrten im Omnibus, aus verbrannten Kalbskotelettes,
Drang und Hast, aus Zahnschmerzen,
aus Zank und Streit, aus Bettel und Ekel, Ekel, Ekel.
Andererseits wurde angeführt:
soeben steht ein klarer Januarsonntag über unserer Ebene.
Weiße Wolken gehen vor dem Ostwinde langsam dahin
und haben rote, flammende Ränder.
Der Himmel ist gegen den Horizont blau,
gegen den Zenit immer tiefer blau,
und siehst du senkrecht hinauf,
so blickst du in die klare, mächtige Tiefe des Kosmos.
Und gerade vor dieser Tiefe kreist ein Taubenschwarm
und ist bald golden, bald dunkel,
je nachdem er den Rhythmus seines Flügelschlages
der Sonne zuwendet oder nicht.
Und nun antwortet man auf jene Frage so:
Böte das ganze Leben an Gutem
nicht mehr als diese Taubensekunde,
aus den Nächten des Nichts –
schrie ich nach ihm, schrie ich nach ihm.
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